PREDIGT VON KARDINAL SCHÖNBORN BEIM CENACOLO-FEST 2015
Liebe Brüder und Schwestern,
es ist genau das richtige Wetter für ein Cenacolo-Fest – für wetterfeste Christen. Umso größer ist die Freude, dass wir wieder ein Cenacolo-Fest, ein Fest der Freude feiern dürfen. Als ich diese Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser gehört habe, da hat mich etwas im Herzen gestochen: „Ihr habt es gehört (das Evangelium), und ich, Paulus, diene ihm“. Wie ich das gehört habe, musste ich an Schwester Elvira denken – „und ich, Elvira, diene ihm.“ Das Evangelium wurde euch verkündet, ihr habt es gehört, und ich, Elvira, diene ihm. Für mich ist es das erste Cenacolo-Fest, wo sie nicht dabei ist, e questo fa male, das tut weh.
Irgendwie erinnert es mich an den Abschied, wie Paulus von den Ältesten von Ephesus in Milet Abschied nimmt. Wie er ihnen sagt, dass er sie nicht mehr von Angesicht sehen wird, das sagt ihm der Heilige Geist, dass Fesseln auf ihn warten, und wie sie dann alle angefangen haben zu weinen, weil Paulus ihnen gesagt hat, ihr werdet mich nicht mehr sehen. Gut, vielleicht haben wir noch einmal die Freude, Schwester Elvira zu sehen, aber irgendwie bin ich schon sehr traurig, dass sie heute nicht da ist, und ich frage mich: Was will der Herr uns damit sagen, euch, der Gemeinschaft Cenacolo, und allen Freunden der Gemeinschaft, uns allen. Ich glaube, es sollte vor allem Dankbarkeit sein, Dankbarkeit. Denn so wie Paulus sagen kann der Gemeinde von Kolossä: In der ganzen Schöpfung unter dem Himmel wurde das Evangelium verkündet und ihr habt es gehört, und ich, Paulus, diene ihm,“ – genauso dürfen wir dankbar sagen: Ihr habt das Evangelium gehört, ihr habt es gesehen, ganz lebendig, und ich Paulus, ich Elvira – ich diene ihm. Und das ist eine Situation, die es in der Kirche immer wieder gegeben hat, dass man das Glück hat, die Freude hat, echte Zeugen des Evangeliums zu erleben. Und dann kommt der Moment, wo Paulus uns sagt: „Ihr müsst unerschütterlich und unbeugsam am Glauben festhalten“, auch wenn wir dann nicht mehr diese so sichtbare Hilfe haben, wie sie das Zeugnis von Schwester Elvira für uns bedeutet. Ihr müsst festhalten unerschütterlich und unbeugsam am Glauben und dürft euch nicht von der Hoffnung abbringen lassen, die euch das Evangelium schenkt, dem Paulus dient, dem Schwester Elvira dient. Und das ist eine ganz wichtige Erinnerung, wenn wir das Glück gehabt haben, Zeugen des Evangeliums zu erleben, wo man so das Evangelium mit Händen greifen kann. So ist es mir mit Schwester Elvira gegangen. Wie sie da heraufgehüpft ist auf die Bühne, nicht wahr, viele erinnern sich daran. Oder wenn sie mitgetanzt hat beim Credo: „Cristo è risorto“. Erinnert euch, wenn sie sagt: „Cristo è risorto“, Christus ist auferstanden, dann hat man gespürt, das ist jetzt nicht irgendeine Theorie, das ist das Leben, das ist das Evangelium mitten Im Leben. Wenn man das Glück gehabt habt, solche Zeugen zu erleben, dann ist das eine ganz starke Aufforderung und Ermutigung, auf diesem Weg unerschütterlich und unbeugsam zu bleiben, am Weg des Glaubens, und die Hoffnung festzuhalten, sich nicht von der Hoffnung abbringen zu lassen.
Und dafür möchte ich heute dem Herrn danken, für das Zeugnis von Schwester Elvira, das so vielen Menschen die Freude des Evangeliums und die Hoffnung des Glaubens gegeben hat. Aber was heißt das, Zeuge des Evangeliums sein? Schwester Elvira ist natürlich einmal persönlich ein wunderbarer Mensch und ich glaube, Gott will, dass wir mit unserem ganzen Menschsein Zeugen des Evangeliums sind, mit unserem Temperament, mit unserem Charakter, mit unseren Begabungen, mit unserem Herzen, mit unserm Verstand, mit unserem ganzen Leben. Aber Zeugen wovon, Zeugen wofür? Da muss ich das Blatt umdrehen, denn das steht auf der anderen Seite, das ist das Evangelium von heute. Schwester Elvira ist genauso wie Paulus oder Petrus oder Johannes oder Johannes Paul II. Zeuge Jesu. Es geht um Jesus! Das Wunderbare an diesen Zeugen des Evangeliums ist, dass sie jede und jeder uns neu Jesus nahebringen. Und die Freude, die Schwester Elvira vermittelt hat, vermittelt, auch weiter vermittelt – heute durch ihre Augen, nicht mehr durch ihre Sprache, durch ihren Blick. Aber diese Freude, die sie vermittelt, das ist die Freude Christi. Und alle großen Zeugen des Evangeliums, alle Heiligen, sind Wegweiser zu Christus. Um Christus geht es. Und deshalb ist dieses kleine Evangelium von heute ein besonderes Wort für euch von der Gemeinschaft Cenacolo. Weil es uns Jesus zeigt in einer ganz engen Gemeinschaft mit seinen Jüngern. Natürlich sind wir alle eingeladen in diese Gemeinschaft, wir dürfen alle den Weg mit Jesus gehen, aber heute dürfen wir doch Schwester Elvira und dem Herrn danken für den Weg, den sie in der Kirche eröffnet hat für die Gemeinschaft Cenacolo, für eure Gemeinschaft. Und das ist ein Unterwegssein mit Jesus, ein Teilen des Lebens Jesu. Und die kleine Szene, die heute im Evangelium berichtet wird, ist deshalb so berührend, weil sie etwas aus dem Leben mit Jesus zeigt, was viele Menschen heute erleben. Sie haben ganz einfach Hunger: Als Jesus an einem Sabbat durch die Kornfelder ging, rissen seine Jünger Ähren ab, zerrieben sie mit den Händen und aßen sie. Ma perché hanno fatto questo? Warum haben sie das gemacht? Nicht weil sie irgendwie Popcorn essen wollten oder irgendwelche Sweeties, Süßigkeiten, sondern weil sie Hunger gehabt haben, weil sie mit Jesus die Armut gelebt haben. Sie haben wirklich Hunger gehabt. Die Gemeinschaft mit Jesus, das heißt auch mit Jesus in die Armut gehen, die Ausgesetztheit. Und ich denke, dieses kleine Evangelium, das sagt sehr viel über den Weg mit Jesus, es ist wirklich das Teilen des Lebens Jesu. Jesus erwidert den Pharisäern, die kritisieren: das darf man doch nicht, Ähren rupfen am Sabbat. Muss man übrigens dazusagen, das ist erlaubt nach dem Gesetz des Alten Testaments: die Armen dürfen auf den Feldern nachlesen, damit sie auch etwas zum Leben haben. Die Jünger haben also nicht gestohlen, sondern sie haben das was das Gesetz den Armen erlaubt, auch getan, sie durften sich etwas von den Feldern mitnehmen zum Essen. Und da sagt Jesus den Kritikern: Was meine Jünger da tun, das hat auch schon David getan, als er mit seine Leuten in der Wüste war und sie gehungert haben. Da haben sie die Brote aus dem Tempel gegessen, die an sich nur der Priester essen darf. Damit sagt Jesus etwas Gewaltiges, sagt es indirekt, er sagt: Hier ist mehr als David! Die Gemeinschaft mit Jesus ist etwas so Großes wie die Gemeinschaft damals mit dem König David, sie ist eine königliche Gemeinschaft. Trotz dieser Armut, mitten in dieser Armut, eine königliche, eine wunderbare Gemeinschaft. Ich weiß, ich habe nie versucht, mit euch in der Gemeinschaft zu leben. Es gibt Bischöfe, die das versucht haben. Ich kenne einen Bischof, der hat anonym, die Jugendlichen wussten es nicht, die Burschen, dass das ein Bischof war. Er hat drei Monate in einem Cenacolo mitgelebt als einer von den Burschen. Das habe ich mich noch nicht getraut, non ho il coraggio di farlo. Aber eines ist sicher, eine solche Gemeinschaft mit Jesus, so wie sie im Cenacolo gelebt wird, hat etwas Königliches an sich, eine unglaubliche Würde, eine große Schönheit, eine große Kraft.
Und damit komme ich zu Mutter Elvira zurück. Bei allen diesen großen Gründergestalten ist immer das Faszinierende der Mut. Wie hat diese Frau, diese Ordensfrau, sich getraut, so etwas anzufangen? Ich werde nie vergessen, zwei Dinge – alles erzähle ich nicht, was die Mutter Elvira mir gesagt hat, waren einige sehr persönliche Sachen für mich. Aber zwei Sachen muss ich sagen. Sie ist sehr viel kritisiert worden, wie sie da begonnen mit acht Burschen, Drogensüchtigen, in Saluzzo dieses alte Haus herzurichten. Was haben die Leute sich das Maul zerrissen über diese Schwester mit den Burschen. Schwester Elvira hat mir gesagt: „Ich habe nie mich verteidigt“. Dieses Wort ist mir sehr nachgegangen, wie oft versuche ich mich zu verteidigen, zu rechtfertigen – „ich habe mich nie verteidigt“. Und ein zweites, das ist etwas sehr Persönliches. Bei einem Frühstück in Saluzzo hat Mutter Elvira mir gesagt – ich war alleine mit ihr beim Frühstück -, hat sie gesagt: „Padre, c’è tanta forza in Lei, che deve uscire!“ Hat gesagt: „Vater, da ist so viel Kraft in Ihnen drin, die muss herauskommen!“ So redet eine Schwester Elvira mit einem Kardinal. Und ich habe mir wirklich gedacht: Was für eine Kraft ist in dieser Frau! Wie viele junge Menschen haben diese Kraft erlebt, die wirklich aus ihr herauskommt! Diese Kraft, von der der hl. Paulus heute sagt: Ihr müsst unerschütterlich und unbeugsam am Glauben festhalten und dürft euch nicht von der Hoffnung abbringen lassen, die euch das Evangelium schenkt. Cari amici del Cenacolo, liebe Freunde vom Cenacolo, ich wünsche euch, dass dieses Wort des hl. Paulus, das Wort, das Schwester Elvira für euch lebt und gelebt hat, dass das euch immer begleitet.
Amen.