BETTINA
Mein Name ist Bettina, ich wurde in Indien geboren, dank des „Ja” einer Frau zu meinem Leben, die ich nie getroffen habe. Ihre Liebe hat mich zur Welt kommen lassen, aber wahrscheinlich ist ihre ganze Situation sehr schwierig gewesen, denn nach einer Woche kam ich schon in ein von Ordensschwestern geführtes Waisenhaus. Nach fast drei Jahren dort wurde ich von deutschen Eltern adoptiert. Heute weiß ich, dass Gott damals dabei war, er wollte ein erfülltes und glückliches Leben für mich.
ich war das einzige schwarze Kind in der Klasse
Ich bin die dritte Adoptivtochter meiner Eltern, denen anschließend noch ein Sohn geboren wurde. Es fehlte uns weder an materiellen Dingen noch an Liebe und wir bekamen von unseren Eltern auch eine christliche Erziehung. Trotzdem war meine erste Zeit in der Familie für mich ein Schock. Ich weinte viel, verschloss mich und versuchte von zu Hause wegzulaufen. Die geduldige Liebe meiner Eltern entspannte die Situation und half mir dabei, meine Integration in die Schule zu bewältigen. Das war nicht leicht, denn ich war das einzige schwarze Kind in der Klasse und ich fühlte mich oft von meinen Mitschülern abgelehnt.
Masken, die mein Inneres verbargen
Eine andere große Schwierigkeit war für mich, die Geburt meines Bruders zu akzeptieren. Ich war jetzt nicht mehr das kleinste Kind im Haus und entwickelte eine starke Eifersucht. Als ich zehn Jahre alt war, war es ein neuer Schmerz für mich, zu entdecken, dass mein älterer Bruder begonnen hatte, Drogen zu nehmen. Meine Eltern waren außer sich, ihre Beziehung geriet in eine Krise und sie stritten sich viel. Ich zog mich mehr und mehr zurück. Zwar schien rein äußerlich alles mit mir in Ordnung zu sein – ich ging zu den Pfadfindern, war gut in der Schule, machte bei Wohltätigkeits-Aktionen mit und half bei der Hausarbeit, aber das waren nur Masken, die mein Inneres verbargen. Ich fing an, Probleme mit dem Essen zu haben, und je mehr Zeit verging, umso stärker wurde mein Wunsch, das Haus zu verlassen.
Alles schien gut zu laufen
Nach dem Abitur zog ich zum Studieren weg von meiner Familie. Jetzt konnte ich tun und lassen, was ich wollte, und ich machte meine ersten Erfahrungen mit Alkohol und Partys. In mir war eine große Leere, eine große Traurigkeit und die Sehnsucht nach etwas Tieferem. Um meine Wurzeln besser kennenzulernen, beschloss ich, nach Indien zu reisen. Nach vielen Treffen und Gesprächen dort wurde mir aber klar, dass es keine Möglichkeit gab, jemanden aus meiner Familie zu finden. Ich beschloss, mehr als zwei Monate in Indien zu bleiben und in einem Waisenhaus für AIDS-kranke Kinder zu helfen. Durch dieses selbstlose Tun fand ich die Kraft, mich mit meinen Wurzeln zu versöhnen! Als ich nach Deutschland zurückkehrte, konnte ich den Kontakt zu meiner Familie dort erneuern. Alles schien gut zu laufen; ich hatte eine gute Arbeit, einen Verlobten, ein Zuhause … aber trotzdem fiel mein Leben wieder auseinander. Ich war unglücklich, immer auf der Suche. Schließlich begann ich zu lügen, flüchtete mich in meine Karriere und in den Alkohol.
Meine ersten Schritte im Cenacolo
Meine Mutter erkannte, wie es mir ging, schlug sie mir eine Gemeinschaft vor, aber davon wollte ich nichts wissen. Ich machte weiter wie zuvor und es ging mir immer schlechter, bis ich mich eines Nachts nach einer Reise mit dem Auto im Krankenhaus wiederfand. Man hatte mich bewusstlos im Auto, das mitten auf der Straße geparkt war, gefunden. Ich war nicht verletzt und auch das Auto hatte keinen Kratzer abbekommen; es war wie ein Wunder! Zwei Monate später trat ich in Mogliano Veneto in die Gemeinschaft Cenacolo ein. Als ich dort mit meiner Mutter ankam, begrüßten uns die Mädchen singend und tanzend. Alle lächelten uns zu. Ich konnte das nicht verstehen, aber schon bald begann ich meine ersten Schritte im Cenacolo mit Hilfe meines „Schutzengels”, eines Mädchens, das die Gemeinschaft mir an die Seite gestellt hatte. Die gemeinsame Arbeit im Garten und der Austausch über ihr Leben und ihre Erfahrungen schenkten mir den Mut, meinen Weg zu beginnen, mich selbst wahrhaftig kennenzulernen. Sie sprach mit mir über Gott, erzählte mir von Mutter Elvira und vermittelte mir so viel Hoffnung und Zuversicht. Die Wut, das Leid und die Traurigkeit, die ich so viele Jahre lang unterdrückt hatte, kamen zum Vorschein. Ich vergoss viele Tränen, die die Blockade, die ich in mir trug, aufzulösen begannen.
Das sichtbare Wirken der Vorsehung berührte mich
Ein wichtiges Erlebnis hatte ich einige Monate später, als mein „Schutzengel” mir etwas sagte, das mich traf. Sie sagte: „Es geht dir nicht gut, weil du den Schwestern nicht deine Reaktionen und deine innere Welt mitteilst.“ Ich dachte sofort: „Lass mich in Ruhe, wer bist du, dass du mir so etwas sagst!”, aber ihre Geduld und ihre Beharrlichkeit halfen mir, zur Vernunft zu kommen und die Wahrheit zu akzeptieren. Obwohl ich anfangs nicht mitbetete, erlebte ich das gemeinsame Gebet in der Kapelle als etwas Wahres und Sicherheit Schenkendes und empfand dabei Frieden. Ich war sehr erstaunt über die Glaubwürdigkeit der Mädchen im täglichen Leben und das sichtbare Wirken der Vorsehung berührte mich. All das war für mich eine große Hilfe, um mich Jesus wieder zu nähern. Heute sehe ich deutlich seine Anwesenheit in meiner Geschichte. Ich danke der Gemeinschaft für so viele Geschenke, die ich auf meinem Weg erhalten habe, wie die Exerzitien zur Berufungsfindung und die Teilnahme an den Musicals der Gemeinschaft. Das waren Erfahrungen, die mich als Frau wachsen ließen und mein Herz öffneten. Vor drei Jahren ging ich dann in die Mission, zuerst in unser Haus in der Nähe von Salvador Bahia in Brasilien und anschließend in unsere Mission in Valle de Bravo in Mexiko.
Wir haben als Familie wieder zusammengefunden
Das Zusammensein mit den Kindern hat bei mir sehr viele Erinnerungen an meine Kindheit geweckt! Heute kann ich diejenige sein, die die Kinder willkommen heißt, und meine Wunden können zu einem Geschenk und zu einer Hoffnung für sie werden, denn ich war ein Kind wie sie. Zur Hochzeit meiner Schwester kam ich schließlich aus der Mission zurück und lebte zwei Monate lang bei meiner Familie, bei der ich seit neunzehn Jahren nicht mehr gewohnt hatte. Wir haben als Familie wieder zusammengefunden und ich bin froh, dass sie alle meine Entscheidung, in die Mission zurückzukehren, mittragen und gesegnet haben.
Danke, Jesus, denn in der Dunkelheit jener Nacht warst Du das Licht, das mein Herz bekehrte. Ich danke Mutter Elvira, der Gemeinschaft und meiner Familie, weil ich mich immer mehr in das Leben verliebt habe und heute den Reichtum meiner Geschichte sehe. Es ist wundervoll, mich als glückliche Tochter Gottes, als Tochter von Mutter Elvira und als Tochter all meiner Eltern zu fühlen!