AUF DEM WEG ZUR VERSÖHNUNG
Davide (22) aus Italien ist seit zweieinhalb Jahren in unserer Gemeinschaft, um sich von seiner Drogenabhängigkeit zu befreien und ein neues Leben aufzubauen.
Im Dezember 2018 kam er zu uns nach Österreich und wir alle haben oft mit Staunen erleben können, welche Fähigkeiten in einem Burschen stecken, der schon mit 13 Jahren drogenabhängig wurde. Ein großes Problem für Davide war aber immer sein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater. Ein paar Mal waren sich beide schon bei unseren Elterntreffen begegnet, Davide war auch während seiner „Verifica“ einmal für eine Woche zu Hause gewesen, aber jetzt wollten sie wirklich einen konkreten Schritt aufeinander zu versuchen, denn Davides Vater Roberto kam zu einer zehntägigen „Erfahrung“ in unser Haus. Diese Möglichkeit, einmal eine Zeit in unseren Häusern mitzuleben, bietet die Gemeinschaft Eltern und Familienmitgliedern von Burschen und Mädchen an, die schon mehr als zwei Jahre im Cenacolo sind.
Wir haben Davide und seinen Vater gebeten, uns zu erzählen, wie sie diese Zeit der Begegnung erlebt haben:
Papa Roberto
Mit diesen Zeilen möchte ich ein kleines Zeugnis über meine Erfahrungen in der Gemeinschaft Cenacolo in Österreich geben. Ich habe dabei so viele Emotionen, Schwierigkeiten, aber auch vor allem Freuden erlebt, dass ich ein Tagebuch darüber geschrieben habe, und sicherlich werde ich einiges davon bei den nächsten Treffen der Cenacolo-Eltern in Italien erzählen, an denen meine Frau Lucia und ich regelmäßig teilnehmen.
Ich heiße Roberto, bin 58 Jahre alt, und lebe in der Provinz von Treviso in der Nähe von Venedig. Mein Sohn Davide lebt zurzeit im Cenacolo-Haus „Mutter der guten Hoffnung“ in Österreich. Auch ich bin zusammen mit meiner Ehefrau Lucia zu dieser Gemeinschaft gekommen, als mein Sohn in Österreich eintrat.
Damals befand ich mich aufgrund einer Erkrankung im August 2018 in Rekonvaleszenz. Heute danke ich dem Herrn für das Leid dieser Krankheit, denn so konnte ich die Gemeinschaft Cenacolo kennenlernen, an den Elterngesprächen teilnehmen und für meinen Sohn Hilfe finden.
Jetzt hat mir die Gemeinschaft nach mehr als zwei Jahren die Möglichkeit angeboten, eine Erfahrung in dem Haus zu machen, in dem Davide lebt. Ich war sofort dazu bereit, denn ich hatte schon lange diesen Wunsch und ich bin sicher, auch Davide wünschte es sich, denn er sagte während seines Videoanrufs zu Ostern: „Papa, du solltest versuchen, eine Erfahrung hier in der Gemeinschaft zu machen!”
Diese zehn intensiven, konstruktiven und manchmal auch körperlich anstrengenden Tage öffneten in meinem Herzen den großen Wunsch, mich mitzuteilen und auszutauschen. Ich erlebte eine innere Gelassenheit, die ich nie zuvor gespürt hatte.
Ich hatte schon lange darauf gewartet, diese Erfahrung zu machen, sowohl um Zeit mit Davide zu verbringen, als auch, weil ich die Schwierigkeiten, die Ängste, die Leiden, aber auch die kleinen Schritte, die unsere Kinder jeden Tag in Richtung Auferstehung machen, aus erster Hand miterleben wollte.
Wie mir mein Freund Sergio von der Elterngruppe weise geraten hatte, begann ich diese Zeit ohne Erwartungen, – mit einem leeren Rucksack – und kam am Ende voller Geschenke nach Hause zurück.
Da ich täglich mit den Burschen im Haus zusammen war und arbeitete, konnte ich mit ihnen viele Gespräche führen, und sie vertrauten sich mir mit offenem Herzen an, so dass ich mich wie ein richtiger Papa von ihnen fühlte. Sie lehrten mich, wie man betet: immer auf den Knien. Ich erfuhr, wie kraftvoll das Gebet ist, wenn wir die drei täglichen Rosenkränze gemeinsam beteten und ich die Intensität und Tiefe ihrer Fürbitten vernahm. Dabei wurde mir bewusst, wie weit ich selber noch gehen muss, um unseren Herrn immer mehr kennenzulernen und seinen Willen für mich erfüllen zu können.
Mit Davide habe ich schöne Momente der gemeinsamen Arbeit und des Gebets erlebt, von großer Transparenz und Aufrichtigkeit im Austausch. Wir vertrauten uns unsere Schwierigkeiten und Ängste an und schauten uns gegenseitig in die Augen, etwas, das seit Jahren nicht mehr passiert war! Es herrschte eine große Offenheit zwischen uns, und ich konnte seine gewachsene Reife und sein Verantwortungsbewusstsein erkennen. Es war für mich dadurch leicht, ihm mehr Vertrauen zu schenken.
Sicher stehen wir am Anfang, denn da ist noch viel Geschehenes zu bewältigen, aber mich tröstet, dass wir beide Geduld dabei haben (es wird die Zeit brauchen, die der Herr festgelegt hat), und wir verabschiedeten uns voneinander mit einem Versprechen: Wir werden nie mehr allein sein, denn Mama Lucia, der jüngere Bruder Francesco und ich werden immer im Gebet mit Davide, der Gemeinschaft und Gott verbunden bleiben.
Euch allen eine herzliche Umarmung,
Papa Roberto
Davide
Hallo, mein Name ist Davide, ich bin 22 Jahre alt und komme aus Italien; ich bin in einer guten Familie aufgewachsen, aber schon als Kind habe ich mich aufgrund meines eher introvertierten Charakters, der ersten Probleme in der Schule und der Tatsache, dass ich meine Eltern nicht mit allem konfrontieren konnte, was ich erlebte, immer mehr gegenüber meiner Familie verschlossen.
Schon bald, mit 13 Jahren, nahm ich die ersten Drogen. Mit den Jahren ging es immer weiter bergab mit mir, bis mich meine Eltern mit 16 Jahren in eine Gemeinschaft schickten. Dies verhinderte zwar, dass sich meine Situation weiter verschlechterte, aber es trennte mich auch noch mehr von meiner Familie. Nach dieser ersten Erfahrung in einer Gemeinschaft kehrten die Probleme bald zurück, und ich wurde von neuem drogenabhängig. Dieses Mal war der Schaden für mein Leben noch größer, denn ich begriff, dass ich süchtig war, und in meiner Wut fühlte ich mich fern von allen.
Glücklicherweise waren meine Eltern sich einig darüber, mir weiter zu helfen und das hat es mir am Ende ermöglicht, in Österreich in die Gemeinschaft Cenacolo einzutreten. Dieses Leben in Gemeinschaft hilft mir, viele meiner Wunden zu heilen. Es hilft mir auch, die Beziehung zu meinem Vater neu aufzubauen, die für mich immer sehr schwierig war. Dass ich mich einmal nach all den Jahren mit ihm zusammen zwei Wochen lang in einer Gemeinschaft wiederfinde, mit ihm zusammenarbeite, mit ihm spreche und mich austausche, ohne sofort zu streiten, hätte ich angesichts all der Mauern, die ich gegen ihn aufgebaut hatte, nicht für möglich gehalten.
Die Gemeinschaft schenkt mir diese Gelegenheit, um eine neue Beziehung zu meinem Vater aufzubauen und neu zu sehen, wer er ist und wer ich heute bin. Dank all dem, was ich in der Gemeinschaft gelernt habe, schaffe ich es, mich nicht wieder sofort vor meinem Vater zu verschließen, wie ich es früher immer gemacht habe. Zu fühlen und zu sehen, dass wir beide uns dank der Gemeinschaft verändern, hat eine Tür zum Vertrauen hin geöffnet, die lange Zeit verschlossen war. Diese Erfahrung hilft mir, einen guten Schritt vorwärts auf meinem Weg zu machen. Wenn sich auch zunächst in mir einige alte Wunden neu öffneten, wenn ich meinem Vater ins Gesicht schaute, mich bei ihm entschuldigte oder ihn umarmte, so gaben mir diese Momente danach jedoch die Kraft, mich mehr als ein Sohn zu fühlen, den sein Vater gern hat, und ich habe die Zuversicht gewonnen, dass eine echte Versöhnung wirklich möglich ist.
Danke!
Davide